top of page
Suche
  • AutorenbildJohanna Moertl

Leseprobe Wenn Herzen landen lernen

NEREA

 

Madrid

 

„Felicidades! Meinen Glückwunsch. You are cleared for Take-off“, sagt er ernst und streckt mir die Hand hin, doch meine Rechte liegt wie festgeklebt auf dem Sidestick. Sie zittert vor Adrenalin. Immer noch bin ich wie in Trance, kann die Konzentration und Anspannung so schnell nicht abschütteln. Auch nach Hunderten von Flugstunden und unzähligen Trainings am Simulator ist die selbstständig durchgeführte Landung einer so großen Maschine schier unglaublich. Mein Herz flattert immer noch irgendwo über mir im endlosen, blauen Himmel.

Endlich schaffe ich es, die Hand vom Stick zu lösen, und ergreife seine. Fest!, ermahne ich mich in Gedanken. Zeig einen kräftigen Handschlag. Selbstsicher und souverän.Und es wirkt. Der Prüfer klopft mir kameradschaftlich auf die Schulter.

„Gut gemacht, Nerea. Solide Leistung. Das Landetraining ist damit abgeschlossen. Jetzt noch den Outside Check und Sie können sich Ihre drei Streifen abholen und gebührend feiern.“

Er meint die drei goldenen Streifen auf Ärmeln und Schulterklappen der Uniform. Er meint auch, dass man als richtige Pilotin einiges vertragen sollte. Da muss er sich keine Sorgen machen.

Tief ziehe ich den Sauerstoff in meine Lungen, als wir aus dem Airbus treten und nebeneinander die Treppe hinuntergehen, und stoße ihn dann angereichert mit Erleichterung wieder aus. Endlich sickert auch die Freude in mein Herz, warm und sprudelnd. Ich habe es geschafft! Ich habe tatsächlich das Type Rating für den Airbus A320 hinter mich gebracht. Nun bin ich First Officer, Erste Offizierin, Co-Pilotin bei Iberia. Zumindest sobald eine Cockpitstelle frei wird. Endlich darf ich arbeiten. Jetzt geht es los! Ich könnte tanzen und singen. Aber irgendwie schafft es die Freude wie so oft nicht aus meinem Innersten heraus.

Nun beobachtet der Kapitän genau, wie ich das äußere Erscheinungsbild der Maschine kontrolliere, die Fahrwerke und Triebwerke inspiziere, genau so wie schon vor dem Flug. Alles sieht aus, wie es sollte, nirgendwo Tropfen, die da nicht hingehören, keinerlei Schäden. Outside Check erledigt. Mein Prüfer setzt das letzte Häkchen auf seinem Formular, und ich jauchze zumindest innerlich.

Der Crewbus holt uns ab und fährt uns ins Hauptgebäude. Nach einer kurzen Nachbesprechung nehme ich ein letztes Mal die Glückwünsche aller Anwesenden entgegen und dann meine Sachen, um nach Hause zu fahren. Nicht in einen Klub mit Freundinnen, auch nicht in die Bar mit Alvaro. Nach Hause zu meinen Eltern. Das ist der einzige Ort, an den es mich heute zieht, wo ich diese neue Ära feiern möchte. Viel zu lange war ich nicht mehr da und es ist glücklicherweise Dienstag – das bedeutet, sie kommt heute auch.

Mein Herz hüpft aufgeregt in meiner Brust. Plötzlich erscheint mir der Kragen des weißen Hemdes zu eng. Ich löse den obersten Knopf und auch den zweiten. So hat die Vorfreude mehr Platz.

 

Die Apartmentanlage in einem Außenbezirk von Madrid, in der meine Eltern wohnen, war zu ihrem Einzug vor meiner Geburt vor rund dreiundzwanzig Jahren wohl modern. Heute ist sie das im Vergleich zu den Neubauten ringsum nicht mehr. Dafür wurde sie vor ein paar Monaten neu gestrichen. Vielleicht kommt sie mir deshalb so fremd vor. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich in letzter Zeit so selten hier war. Wie so oft ziehen das schlechte Gewissen und ein unerklärliches Sehnen in mir. In unterschiedliche Richtungen. Ich schüttle die beiden ab und schließe mit nervösem Bauchkribbeln auf. Ob sie schon da ist?

„Hola! Estoy en casa!“, schreie ich automatisch auf Spanisch und korrigiere mich sofort. „Ich bin zu Hause!“, rufe ich dann auf Deutsch. Als mein Vater um die Ecke biegt, hänge ich noch einen kleinen Schrei an, den man als multilingual bezeichnen könnte. Er trägt nur ein kleines Badetuch um die Hüften.

„Papa! Nicht schon wieder!“ Verlegen halte ich mir die Finger vor die Augen.

„Ups, Puppi, tut mir leid, ich hab dich erst später erwartet“, sagt er mit schuldbewusster Stimme. „Bin gleich wieder da.“

Während er sich im Schlafzimmer anzieht, hänge ich meine Tasche auf und schlüpfe aus den schwarzen Halbschuhen. Dann schleiche ich auf leisen Sohlen durch das Wohnzimmer und nähere mich der breiten Glasfront zur Terrasse.

Unter der schattenspendenden Markise sitzt meine Mutter an ihrem Outdoor-Schreibtisch und arbeitet. Ihr Haar, genauso dunkelblond und überschulterlang wie meines, bewegt sich sanft in der warmen Brise. Der schmale Rücken ist durchgestreckt, die nackten Füße sind flach aufgestellt. Das aber auch nur, weil sie schreibt. Sonst steht meine Mutter nicht unbedingt mit beiden Beinen im Leben.

„So, jetzt aber eine richtige Begrüßung“, sagt Papa in meinem Rücken und ich drehe mich um.

Er trägt nun eine weiße Leinenhose und ein hellblaues kurzärmeliges Hemd. Viel besser. Sein braunes Haar ist länger geworden, bemerke ich, fällt ihm lässig über die Ohren und mit dem schelmischen Grinsen im braungebrannten Gesicht sieht er fast wie ein junger Mann aus.

„Hallo, Papa!“ Ich schlinge die Arme um ihn und er lässt sein genießerisches Schnurren hören, was mich immer zum Lachen bringt.

„Du weißt schon, dass exzessives Bräunen ungesund ist?“, ziehe ich ihn auf.

„Natürlich. Deswegen beginne ich bereits im Frühling, um die Haut daran zu gewöhnen. Aber jetzt erzähl. Heute war doch die Prüfung? Ist alles gut gelaufen?“ Er drückt mich behutsam von sich, um mich genauer in Augenschein zu nehmen.

„Ja, ich habe bestanden“, sage ich mit stolzgeschwellter Brust.

„Großartig! Ich wusste, dass du es schaffst.“ Er eilt in die offene Küche. „Lass mich schnell nachsehen, ob der Sprudel schon kalt ist. Hab extra einen Schlumberger gekauft“, trällert er und öffnet den Kühlschrank, nimmt die Flasche heraus und prüft sie.

Das lässt mich auflachen. „Hier gibt es auch guten Sekt! Wieso seid ihr aus Wien weggegangen, wenn du nicht ohne den Schlumberger kannst?“ Ich folge ihm und stelle mich an die Rückseite der Kücheninsel wie an eine Bar.

„Aber geh!“ Er winkt schmunzelnd ab. „In Wien haben wir was anderes getrunken, was von auswärts. Willst du was gelten, dann mache dich selten, sagte meine Mutter immer und sie hat recht. Eine Sache wird doch erst zu was Besonderem, wenn man sie nicht mehr an jeder Ecke kaufen kann … Und für dich wollte ich heute einfach was Besonderes holen.“

„Aww!“ Seine Freude rührt mich.

Leise zieht er den Korken, nimmt zwei Flöten aus dem Regal und schenkt uns ein. Dann reicht er mir eine und stößt mit mir an.

„Prost! Auf deinen Erfolg.“

„Äh.“ Ich zögere mit dem ersten Schluck, deute mit dem Glas in Richtung Terrasse. „Wollen wir nicht auf sie warten? Oder … darf ich hinausgehen?“, frage ich vorsichtig.

Er windet sich und verzieht entschuldigend das Gesicht. „Lieber nicht … Du weißt, wie sie ist … Sie kommt dann später dazu.“



.......

2 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page